Kapitel 1

Kapitel 1
 


Die Sonne war bereits untergegangen und allmählich wurde es still im Wald. Selbst die Tiere legten sich zum Schlafen nieder. Vollkommene Stille. Doch dann: Ein leises Flattern, das der Wind herbei trug. Und das Geräusch von Pfoten, die sanft über das Laub schritten.

Felizias verharrte mitten in der Bewegung. Waren vielleicht doch noch Raubtiere unterwegs? Das Flattern verflog im Wind, aber die Schritte kamen noch immer näher. Ein leises Rascheln und der Schrei eines aufgeschreckten Vogels. Langsam und unter größter Anspannung drehte sie sich um und machte sich zum Kampf bereit.

Das leise Knacken eines zerbrechenden Astes, das schauderhafte Rascheln von Blättern ganz in der Nähe. Felizias atmete tief durch, um ihren Herzschlag zu beruhigen. Was war nur los mit ihr? Eine Jedra durfte keine Angst haben! Oder war es der Stress? Diese unglaubliche Anspannung es endlich zu finden? Das verbotene Buch, das sie lehren sollte echtes Drachenfeuer heraufzubeschwören?

Eine weitere Bewegung riss sie aus ihren Gedanken. Die Äste des Dornenbusches nur drei Schritte entfernt teilten sich und zum Vorschein kam...

Verdammt! Müsst ihr beiden mich denn so erschrecken?“ Beim Anblick ihrer beiden tierischen Gefährten fiel alle Anspannung von ihr ab. Endlich! Endlich würde sie erfahren, wo dieses verdammte Dorf lag.

Entschuldigt, Shadow, aber wir haben es jetzt gefunden.“ Myras hatte gesprochen. Der Rabendämon saß so gerade wie möglich auf dem Rücken des jungen Wolfs, dem sie vor ein paar Tagen bei der Jagd begegnet waren. Als der Wolf Anstalten machte wieder im Schutze der Bäume zu verschwinden, erhob der Dämon sich elegant in die Luft und landete auf einem Ast nicht weit von der kleinen Feuerstelle entfernt.

Felizias strich sich mit einer zitternden Hand eine Strähne ihres kurzen schwarzen Haares zurück und atmete noch einmal tief durch.

Ihr sieht ziemlich erschöpft aus.“, bemerkte der Dämon kühl und warf ihr dabei einen noch kühleren Blick zu, den seine Herrin als haltlose Anschuldigung sah.

Sag' bloß nicht, es wäre anstrengend durch die Gegend zu fliegen und einfach nur ein Dorf ausfindig zu machen! Ich bin es schließlich, die in jedem Buch, in jedem Wort, nach Hinweisen auf das Versteck suchen muss! Also sag' mir einfach, wo dieses....verfluchte Dorf ist, ok?“ Sie hatte die Hände geballt und da sie versehentlich Feuer heraufbeschworen hatte, tauchte der flackernde Schein der Flammen alles in ein unwirkliches Licht, das ihr Haar rötlich schimmern ließ.

Myras faltete nervös die Flügel und warf ihr einen unruhigen Blick zu, als würde ihm erst jetzt bewusst mit wem er da sprach.

Nein, Felizias war kein einfaches 16-jähriges Mädchen und auch keine gewöhnlich Jedra. Sie war nicht einfach ein Mädchen mit besonderen Fähigkeiten und der Macht sich, nüchtern betrachtet, in einen riesigen geflügelten Wolf zu verwandeln. Sie war Lord Victors Schülerin und damit die Erbin seines Throns, was bedeutete, dass sie einmal die Anführerin, die Königin aller Jedra sein würde.

Vielleicht eine Vierteltages-Reise nach Nord-Westen.“

Das Feuer erlosch und das flackernde Licht wurde wieder durch fahles Mondlicht ersetzt.

Danke.“ Felizias straffte kaum merklich die Schultern und schritt dann gemächlich zur Feuerstelle herüber.

Und wann gehen wir?“

Morgen. Wir brechen mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Alles andere würde uns verdächtig machen. Also ruh' dich aus, morgen musst du dich unauffällig verhalten und ein Rabe, der schnarcht, fällt leider auf.“

Vermutlich ist das so. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ Myras tappte eine Weile auf dem Ast herum, streckte noch einmal die Flügel aus und warf einen Blick zur Feuerstelle zurück. Dort hatte sich der schwarze Wolf mit dem roten Wirbel auf der Stirn bereits mit zusammengefalteten Flügeln eingerollt und atmete ruhig im Rhythmus des Windes.

 

 

Felizias erwachte beim Geschwittscher der ersten Vögel und machte sich als erstes daran alle Spuren zu beseitigen, während der Rabe noch auf seinem Ast schlummerte. Sie war ihm nicht böse darum. Vielleicht war sie letzte Nacht doch etwas hart mit ihm umgesprungen.

Gerade als sie die letzten Steine der Feuerstelle harmlos aussehend auf der Lichtung verteilt hatte, erwachte der Dämon. Er schien einen Moment verwirrt zu sein, warf dies aber mit einem kurzen Kopfschütteln ab.

Bist du fertig, Myras? Wenn wir jetzt losgehen, kommen wir mittags dort an.“

Ja, ich denke, wir können jetzt los.“ Er erhob sich etwas steif und drehte eine kurz Runde um den Kopf seiner Herrin. Ihre eisblauen Augen folgten ihm mühelos.

Sehr gut. Hast du noch andere Reisende im Wald gesehen?“

Der Dämon verstand sofort, worauf sie hinaus wollte.

Ihr könnt auf jede Art und Weise reisen, die Ihr Euch wünscht. Es wird niemand bemerken.“

Ein heimliches Lächeln stahl sich auf Felizias Gesicht. Dann machte sie einen gewaltigen Sprung nach vorne, den ihr wohl niemand zugetraut hätte, und verwandelte sich noch im Sprung.

 

Die Reise dauerte, ganz wie Myras es gesagt hatte, einen Vierteltag und sie erreichten die letzten Ausläufer des Waldes gegen Mittag, wie Felizias es vorhergesagt hatte.

Das „Dorf“ erwies sich als eine kleine, aber majestätische, Stadt mitten im Wald, die mit der Nordseite an einem großen See grenzte, der den Namen „Teap“ trug. Schon vom Weiten konnte man die Mauertürme des Rathauses und der berühmten Magieschule Lev mit seiner riesigen Bibliothek erkennen. In dieser Bibliothek war laut dem letzten Hinweis ein neuer zu finden.

Das ist also Taen? Sieht irgendwie klein aus... Also im Vergleich zu Casot.“

Ja, aber das hier ist schließlich auch nicht die Heimat von abertausenden Jedra.“ Myras zeigte genauso wenig Respekt vor der Hauptstadt der Elfen wie seine Herrin. Es stimmte schon, Taen war noch längst nicht so beeindruckend wie die Hauptstadt der Jedra, aber sie waren ja auch nicht zum Sightseeing hier.

Felizias atmete tief durch. „Dann mal los. Und schön unauffällig verhalten, mein Lieber.“

Sie zögerte einen Moment, dann trat sie, wieder in Menschengestalt, aus dem Schatten der Bäume.

Der Dämon folgte ihr in einigem Abstand und flog teilweise auch voraus, um auf sie zu warten, sodass es aussah als würde er nur zufällig die selbe Route wie das Mädchen einschlagen.

Taen besaß weder eine Stadtmauer noch ein Stadttor, was Felizias töricht erschien, so oft wie die Stadt schon angegriffen worden war.

Sie machte zuerst an einem kleinen Kramsladen halt, wo sie sich eine aktuelle Karte von der Stadt kaufte. Die Sonne stand nun genau senkrecht über dem Rathausturm und allmählich leerten sich die Strassen, weil die Leute nun in ihre Häuser und Gasthäuser verschwanden, um dort zu Mittag zu essen. Und da Felizias nicht auffallen wollte, betrat sie ebenfalls ein Gasthaus.

Mit einem schnellen Blick durch den Raum zählte sie vierundzwanzig Gäste, zwei Kellner und einen Wirt und ließ sich an einem Zweiertisch in einer kleine Nische nieder von wo aus sie gut beobachten konnte ohne selbst beobachtet zu werden. Sofort bedauerte sie, dass Myras sie nicht hatte begleiten können, denn jemand zum Reden wäre jetzt gut gewesen.

Sie sah sich um und erblickte ein Mädchen in ihrem Alter, das offenbar von Lev kommen musste. Zumindest verrieten ihr das die schwarzen Haare, die traditionell hochgesteckt waren und zudem hatte sie eine Menge Bücher dabei, las während des Essens in einem und schien sich dazu Notizen zu machen. Volltreffer! Das war genau die Art Person mit der sie sprechen musste.

Möchten Sie schon bestellen?“

Ohne dass Felizias es bemerkt hatte war eine Kellnerin an ihren Tisch getreten. Rasch bemühte sie sich eine ertappte Mine aufzusetzen und bestellte etwas, dass nicht allzu teuer war, um ihre Reisekasse zu schonen. Als die Kellnerin sie wieder allein ließ, sah sie zu dem Mädchen zurück, das jetzt tatsächlich eine kleine Topfpflanze aus ihrer Tasche holte, um einen Wachstumszauber zu üben. Allerdings schien der ihr ein paar Schwierigkeiten zu bereiten, denn sie kniff angestrengt die Augen zusammen und Felizias konnte von ihrem Platz, gut zehn Schritte entfernt, sehen, dass ihre Hand dabei zitterte.

Warum der Zauber ihr so viel abverlangte, wusste Felizias natürlich schon längst: Das Mädchen war eine Alexandridin, also eigentlich eine Wassermagierin. Aber trotzdem hatte die Magieschülerin sie neugierig gemacht.

Als das Essen kam, war sie so damit beschäftigt das Mädchen beim Üben zu beobachten, dass sie sich nicht einmal über die vegetarische Lebensweise der Elfen ärgerte. Etwas, irgendetwas, an diesem Mädchen kam ihr so vertraut vor. Vielleicht war es die Art und Weise, wie sie die Seiten der Bücher umblätterte. Felizias hatte genau die selbe Bewegung schon einmal bei einer Freundin gesehen. Aber gleichzeitig wusste sie, dass es nichts mit ihren Bewegungen zu tun hatte. Nein, sie kannte dieses Gesicht, diese Haare und ihren Geruch.

Und noch während Felizias sie anstarrte, sah das Mädchen auf und direkt zu ihr hinüber. Erinnerungen schossen in ihr hoch, aus Jahren, die ihr jetzt wie ein anderes Leben vorkamen.

Ein Dorf, das sie immer nur in der Nacht gesehen hatte. Ein kleines Mädchen, dieses Mädchen, das mit ihr die Klippen zum Meer herunter geklettert war, um ihr zu zeigen, wie es den Wellengang beeinflussen konnte.

Felizias brauchte einen Moment, um wieder in die Realität zurückzukehren. Das Mädchen hatte seine Sachen gepackt und ging unsicher auf ihren Tisch zu. Zum ersten Mal fiel ihr die Kleidung der Schülerin auf: Sie trug einen Rock aus braunem Leder, eine weiße Bluse und um den Hals eine Kette mit dem christischen Auge drauf. Als das Mädchen Felizias Tisch erreichte, räusperte sie sich.

Kann...kann ich mich zu dir setzten?“ Sie lief dabei leicht rot an und schien sich nicht recht wohl in ihrer Haut zu fühlen.

Natürlich.“ Sie deutete auf den freien Stuhl und das Mädchen setzte sich. Aus der Nähe sah Felizias, dass ihre Haut sehr blass war. Dem Mädchen schien die Gesamtsituation peinlich, starrte aber ebenfalls zurück. Ihre Augen waren etwas dunkler als Felizias'.

Es dauerte eine Weile bis sie sprach: „Tut mir leid, aber du erinnerst mich an jemanden, der eigentlich...nicht hier sein dürfte.“ Sie starrte dabei auf ihre Füße und lief noch röter an.

Felizias starrte sie überrascht an und nutzte diese Maske, um sich voll und ganz auf den Geruch des Mädchens zu verlassen.

Nun, wie du siehst lebe ich.“ Entgegnete sie schlicht, weil sie sich jetzt sicher war, wer da vor ihr saß. Aber sie würde sich nicht zuerkennen geben, wenn das Mädchen es nicht tat.

Das Mädchen schien ihre Gedanken zu kennen.

Mein Name ist Jeisoa.“ Einen kurzen Moment sah es so aus als wollte sie ihr die Hand reichen, dann entschied sie sich aber anders.

Felizias.“, sagte die Jedra einfach nur und wartete ab, was passieren würde.

Fe-Felizias? Wirklich? Also, ich...“

Ja, ich bin Felizias. Falls du dich nicht mehr erinnerst: Ich bin deine Zwillingsschwester.“

Jeisoa starrte sie jetzt ganz offen an, dann huschte ihr Blick über Felizias' Kleidung. Lederhose, schwarze Bluse, ein dunkelblauer Reiseumhang darüber und, nur durch ein gelegentliches Aufblitzen zu sehen, ein Waffengurt mit einem Ein-Hand-Schwert und einer großen Auswahl an Dolchen.

Es dauerte eine Weile bis Jeisoa ihre Stimme wiederfand.

Aber wie...hast du überlebt? Und....was ist eigentlich alles passiert nachdem du weggelaufen bist?“

Nun...“ Ihre Schwester lehnte sich über den Tisch und sah sich ein paar Mal geheimtuerisch um. „Ich habe mich zuerst als Diebin durchgeschlagen und dann nachdem ich in eine Jedra wurde, habe ich Missionen für den Lord ausgeführt.“

Das ist nicht lustig!“ Zischte Jeisoa zurück und lief jetzt noch röter an. „Als Jedra könntest du dich im Übrigen nicht frei bewegen! Du weißt doch, dass sie überall gejagt werden und wenn ein richtiger...“

Auf einmal wurde sie sehr blass. „Das war kein Scherz, oder?“

Felizias erhob sich und legte einige Münzen auf den Tisch.

Das würde ich gerne draußen mit dir klären.“

 

 

Zusammen traten sie aus dem Gasthaus und schlenderten ziellos durch die Straßen Teans. Eine Weile schwiegen sie beide und Jeisoa betrachtete ihre tot geglaubt Schwester von der Seite.

Sie hatten das selbe runde, etwas kindlich wirkende Gesicht, dieselbe Augenfarbe und auf dem ersten Blick das selbe Haar. Aber der sanften Schein der Sonne zeigte auch die Unterschiede zwischen den Zwillingsschwestern. Jeisoa trug ihr schwarzes, glänzendes Haar beinah hüftlang während Felizias ihr Haar nicht einmal schulterlang und viel wilder als ihre Schwester trug. Außerdem schimmerte ihr Haar im Sonnenlicht rötlich und ihre Augenfarbe schien sich im Licht der Sonne stärker zu erhellen als üblich. Auch Felizias Lederhose mit dem Waffengurt war eher unüblich für Mädchen ihres Alters und meistens trugen nur Botschafter solche Kleidung. Jeisoas Schuluniform war der perfekte Kontrast dazu: Alles auf Taile geschnitten und in hellen, freundlichen Farben.

Also?“, sagte Felizias plötzlich und irritierte ihre Schwester damit so sehr, dass diese stehen blieb.

Ähm...was genau meinst du?“, fragte sie nach einer Weile. Auch Felizias blieb nun stehen, die Hände in den Hosentaschen und den Rücken gegen die Sonne gedreht.

Wolltest du nichts fragen?“, fragte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen.

Oh! Ähm, ja, das wollte ich.“

Sie schwieg eine Weile.

Nun....“

Was willst du wissen, Schwesterherz?“

Felizias war ein paar Schritte auf sie zugegangen und hatte ihre Arme verschränkt. Wieder schwiegen sie eine Weile.

Dann antwortete Jeisoa leise: „Wo bist du hingegangen damals? Wie hast du überlebt?“

Ein leises Lächeln stahl sich auf Felizias Gesicht.

In die nächste größere Stadt.“ Sie lehnte sich gegen einen Baum und sah zur Sonne hoch. Jeisoa fiel auf einmal auf, dass sie dabei nicht einmal blinzeln musste.

Da habe ich dann einer kleinen Bande angeschlossen. Ging uns nicht einmal so schlecht. Nur leider konnte ich mich natürlich nicht tagsüber sehen lassen und deshalb habe ich dann die ganzen Einbruchgeschichten übernommen. Tja.... und dann kamen ein paar Jedra in unsere Stadt und Victor hat mir gesagt, ich würde eine verdammt gute Jedra abgeben.“

Sie wandte ihrer Schwester wieder das Gesicht zu.

Und wie lief's bei dir?“

Jeisoa starrte sie einen Moment an und antwortete dann heiser: “W-Wir haben dich einen ganzen Tag lang gesucht nachdem du weg warst. Und dann kamen ein paar ältere Schüler von Lev in unser Dorf und...naja, dann bin ich halt hier gelandet.“

Ihre Schwester grinste sie an.

Dir erging es also ähnlich? Interessant.“

Jeisoa räusperte sich.

Und...und hat dir der Lord aufgetragen hierher zu kommen?“

Nicht direkt. Ich bin sozusagen auf Durchreise.“, antwortete sie nach einer Weile.

Aha.“

Sie schwieg verwirrt. Felizias war also wirklich eine Jedra!

Ihre Schwester räusperte sich.

Übrigens brauche ich ein Buch aus der Bibliothek deiner Schule.“

Jeisoa brauchte einen Moment, um zu begreifen was sie gesagt hatte.

Ta-Tatsächlich? Aber es ist Ausstehenden strengstens verboten die Bibliothek zu betreten. Weißt du das nicht?“

Felizias biss sich auf die Lippe und sah in Richtung des Bibliotheksturms.

Wirklich? Auch wenn es auf direktem Befehl des Jedralords ist?“

Jeisoa überlegte eine Weile.

Ich denke nicht, dass es einen Unterschied macht...“

Ihre Schwester sah ihr eine Weile direkt in die Augen. Sie erwiderte den Blick eine Weile, sah dann aber weg. Diese unmenschlich hellen Augen waren ihr irgendwie unheimlich.

Vie-Vielleicht machen sie ja eine Ausnahme...“, sagte sie nach kurzem Zögern.

Felizias stieß sie vom Baumstamm ab und setzte ihren Weg fort. Jeisoa sah ihr eine Weile hinterher und bemerkte auf einmal, dass sie scheinbar die ganze Zeit von einem Raben verfolgt wurden.

Was ist? Kommst du nicht mit?“

Felizias Ruf ließ sie zusammenzucken. Sie verfiel in einen leichten Trab, um ihre Schwester einzuholen.

Felizias?“, fragte sie zörgerlich.

Hm.“

Jeisoa beugte sich nahe zu ihr heran und flüsterte: „Ich glaube, wir werden verfolgt.“

Felizias schloß für einen kurzen Moment die Augen.

Nein, werden wir nicht.“

Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte ihre Schwester sie nervös.

Felizias verdrehte die Augen.

Ganz einfach: Ich kann außer uns niemanden riechen, der mir bekannt vorkommt, und wenn wir wirklich verfolgt würden, müsste die Person uns schon etwas länger verfolgen, oder?“

Und wenn es keine Person sondern ein...Tier ist?“, fragte Jeisoa noch nervöser.

Felizias sah sie einen Augenblick ungläubig von der Seite an, dann begang sie leise zu lachen. Ihr Lachen war merkwürdig: Kalt und herzlich zugleich.

Jeisoa lief rot an.

Was ist daran so lustig?“

Es dauerte eine Weile bis Felizias aufhörte zu lachen.

Das „Tier“, das du da gesehen hast, ist mein guter Freund Myras.“

Ihre Schwester schnappte nach Luft.

Der Rabe?!“

Felizias grinste.

Ja. Er ist soetwas wie mein Diener und begleitet mich überall hin.“

Sie gingen ein Weile schweigend nebeneinander her. Als Jeisoa einmal kruz aufsah, flog der Rabe an ihnen vorbei, um auf dem Ast eines Baum weiter vorne zu warten. Während er vorbeiflog hatte er sie lange betrachtet und Jeisoa überkam ein mulmiges Gefühl. Was, wenn all' das, was sie in Lev über die „dunklen Rassen“ lernten, stimmte? Was, wenn das nicht mehr Felizias, ihre lang verschollene Schwester war, sondern Felizias, die Jedra, die ihrem Herrn treu ergeben bis in den Tod folgte? Was war sie bereit für dieses geheimnisvolle Buch zu tun?

 

Sie erreichten die Bibliothek bei Sonnenuntergang. Es war ein sehr altes Gebäude, vielleicht das älteste der Stadt. Außerdem fand Felizias, dass es sehr groß war, aber das konnte auch daran liegen, dass das Gebäude durch den niedrigen Stand der Sonne einen beinah absurt rießenhaften Schatten warf.

Es war sehr ruhig im Inneren der Biliothek. An diesem sonnigen Tag schienen viele Schüler keine Lust zu haben, sich in dem großen und stickigen Gebäude aufzuhalten und so war nur der Bibliothekar dort. Er war ein älterer Herr mit sehr gepflegten weißen Haaren und einem gelangweielten Gesichtsausdruck, der scheinbar höchst konzentriert einige Unterlagen studierte.

Langsam durchquerten die Geschwister die rießige Eingangshalle. Jeisoa ging zögernd und war so nervös, dass sie nicht registrierte, wie ihre Schwester sich jedes einzelne Detail des Gebäudes einprägte. Er sah erst auf als Felizias zu sprechen begann.

Verzeihen Sie, Sir, aber ich suche ein Buch.“

Der Bibliothekar räusperte sich.

Das Betreten der Bibliothek ist Schülern gestattet, junges Fräulein.“

Felizias hob ihre Hand und zog etwas, das an einer Kette um ihren Hand befestigt war, hervor.

Das erste, das der Bibliothekar wahrzunehmen schien war der goldene Halbmond. Aber die untergehende Sonne ließ auch den Saphir des Jedrazeichens funkeln und beschien den Namen, der in dem schwarzen Stein geschrieben stand: Shadow.

Ein Lächeln stahl sich auf Felizias Gesicht, als dem alten Mann Schweistropfen die Stirn herunterliefen. Das Lächeln der Jedra löste sich langsam auf und ein bedauernder Ausdruck trat stattdesen auf ihr Gesicht, als sie scheinbar nachdenklich mit der Kette spielte.

Nun, das ist wirklich bedauernswert, wo der Lord es doch so dringend braucht. Aber da ist halt nichts zu machen: Vorschrift ist Vorschrift. Ich werde ihm sagen müssen, dass er seine Information anderen Orts suchen muss.“

 

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging langsam auf die Tür zu. Sie konnte die Panik des Mannes riechen, aber sie wusste, dass er zu alt, zu treu und zu naiv war. Er würde es ihr nicht gestatten. Vermutlich würde er nach Dienstende die Schulleitung benachrichtigen, welche dann die Sicherheitsvorkehrungen verstärken würde.

Der Rabe wartete bereits auf dem Ast eines Baumes gleich neben dem Eingang, als Felizias heraustrat.

 

Was werdet Ihr jetzt tun, Herrin?“

Die Stimme ihres Dieners halte in ihrem Kopf eine Weile nach. Auf einmal fühlte sie sich wieder wie zuhause. Die Antwort war nicht schwer, sie musste nicht einmal darüber nachdenken. Schließlich war sie von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass dies passieren würde.

Sie schloß ihre Hand eine Weile um das Medalion, bevor sie es wieder vor den neugierigen Blicken der Passanten verbarg. Ein leises Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

 

Ich werde meinem Namen wieder einmal alle Ehre machen, Myras.“

 

 

Der Mond stand sehr hoch in dieser Nacht und da die Wachen es nicht für nötig befunden hatten Fackeln aufzustellen, war die Bibliothek für Menschen Augen wahrscheinlich unsichtbar.

Felizias lächelte, als sie sich dabei ertappte, wie sie sich über die völlige Dunkelheit ärgerte. Früher war sie nur in Nächten, die so hell waren, dass sie mindestens 100 Meter weit sehen konnte, zu ihren Einbrüchen aufgebrochen, aber seit damals war viel passiert. Ihren neuen Augen machte diese Dunkelheit nichts aus und die Kälte, die mit der Nacht gekommen war, begrüste sie sogar, weil sie ihr Denken viel klarer und schärfer machte.

Ihr Blick blieb an ein paar Wachen hingen. Ihr fiel auf, dass sie alle den Oberkörper leicht nach vorn neigten und eine Hand ständig auf dem Griff ihres Schwertes hatten. Also alles junge und unerfahrene Kämpfer; notfalls würde sie es mit ihnen leicht aufnehmen können. Sie sah wieder zur Eingangstür der Bibliothek und ging im Kopf noch einmal ihren Plan durch. Insgeheim hoffte sie darauf irgendwo einen Fehler zu entdecken und dass sie keinen fand machte sie etwas unruhig, aber sie hatte so etwas schon oft genug getan und vermutlich würde sie ohnehin niemand bemerken.

Ein gespenstisches Krächsen tönte durch die Nacht und einige Wachen zuckten nervös zusammen, während eine kleine Gruppe Raben in den Ästen der Bäume gleich neben dem Eingang landeten.

Felizias fiel es nicht schwer zwischen den schwarzen Schatten Myras zu entdecken. Sie hatte seine Anwesenheit gleich gespürt.

Sie trat ein Stück weiter in die kleine Gasse in der sie stand herein und lehnte sich gegen die Mauer eines der winzigen Häuser, während sie auf das Signal wartete. Myras ließ seine Herrin jedoch nicht lange warten: „Es sind keine zusätzlichen Wachen eingeteilt worden.

Keine zusätzlichen Wachen? Nicht einmal Magier? Ihr Herz gab ihr einen kleinen Stich, als ihr bewusst wurde, wie sehr man sie doch unterschätzte.

In Ordnung. Dann geht es jetzt los.

Felizias atmete tief durch und löste sich langsam von der Mauer. Ein leichtes Schauern durchlief sie, als sie die Wassertropfen des leichten, nächtlichen Nebels an ihren Körper sammelte. Sie streckte probehalber den Arm aus und betrachtete ihr Werk. Der sanfte Mondschein glitt durch ihren Arm und landete dort, wo vor einigen Minuten noch ihre Füße gewesen waren, auf dem Kopfsteinpflaster. Sie hatte es also nicht verlernt.

Mit leicht klopfendem Herzen trat sie aus ihrem Versteck und schritt durch das leicht wogende Grass direkt auf die Bibliothek zu. Als sie aber nur noch einige Schritte vom Haupteingang entfernt war, richteten sich auf einmal die Augen eines der Wachen auf sie. Sie blieb automatisch stehen und begang ihren Atmen zu kontrollieren. Gleichzeitig fixierte sie das Gesicht der Wache genauer, die jetzt ebenfalls stehengeblieben war. Seinem Kollegen fiel dies aber erst nach einer Weile auf.

Er trat unsicher dazu, fixierte die selbe Stelle, wie sein Kollege und zog sein Schwert.

 

Herrin?“ Myras hatte ihre Situation natürlich sofort bemerkt.

 

Ich weiß nicht, ob sie mich wirklich sehen.“ Felizias schloß die Augen und versuchte ihren Kopf mit einigen wenigen Atmenzügen freizubekommen. Sie spürte wie das Adrenalin durch ihre Adern jagte, wie ein erschrockenes Kannichen auf der Flucht vor einem gesamten Wolfsrudel.

Ein leichtes Ziehen an ihren Schläfen stellte sich ein und die Jedra ließ sämtliche Anspannung von sich abfallen. Alles, was jetzt zählte war, ihre Aufgabe zu erfüllen. Dann war sie auf einmal da, diese wunderbare Leichtigkeit, die sie immer spürte, wenn sie die Magie der dunklen Rassen anwandte. Langsam zog sie die klare Nachtluft ein. Doch diese hatte sich nun verändert. Ihre Jedrasinne filterten die Gefühle der beiden jungen Männer vor ihr heraus. Sie roch ihre Anspannung, die Unsicherheit und eine leichte Prise Angst.

Felizias atmete erleichtert tief durch. Das war alles nur ein Zufall. Alles war bestens, ihr Plan schlug nicht fehl. Sie hob den Kopf und betrachtete die Wachen noch einmal genauer. Selbst wenn sie sie wirklich bemerkt hätten, hätten sie ihr nichts anhaben können. Nicht ihr, Shadow, der Jedraerbin.

Mit raschen Schritten setzte sie ihren Weg fort, ohne darauf zu warten, dass die Wachen sich abwandten.

Die Eingangstür war verschloßen, dass konnte sie mit einen Blick sehen. Aber bestimmt war dies nicht die einzige Sicherheitsvorkehrung, um eine solch wertvolle Bibliothek zu schützen. Sie hatte die Elfen von Vebeje lange genug studiert, um zu wissen, dass sie zwar in Bezug auf andere „reine“ Rassen recht sorglos waren, allerdings Häuser ab drei Einwohner magisch gründlichst vor möglichen Übergriffen der dunklen Rassen schützten. Es war also völlig unmöglich, dass sie gerade die Bibliothek von Lev schützlos ließen. Felizias runzelte die Stirn. Während sie die „weiße“ Magie studierte, hatte sie nichts darüber gelernt, wie sie Schutzzauber aufspüren konnte. Wenn sie wieder nach Hause kam, würde sie ihren selbsternannten Bodyguard Triger bitten es ihr beizubringen.

Zögernd legte sie eine Hand auf das kalte Holz der Tür. Wenn sie die Stabilität des Holzes richtig eingeschätzt hatte, würde es die geringen Schwingungen, die beim Einsatz solcher Schutzzauber entstanden, übertragen können. Tatsächlich spürte sie nach einigen Augenblicken, wie die Tür unter ihrer Hand leicht tanzte.

Also ganz klassisch durchs Fenster. Sie blickte sich kurz um, aber die Wachen schienen es für sinnvoller zu halten Eindringlinge vom Gebäude fernzuhalten, als sie davon abzuhalten einfach in die Bibliothek einzusteigen. Was für Anfänger!

Mit einem leichtem Grinsen auf dem Gesicht suchte sie sich ein Fenster aus, das im Schatten eines nicht weit entfernten Baumes lag. Nachdem sie sich nochmals umgesehen hatte, trat sie näher an die dunkle Scheibe heran. Drinnen war es so dunkel, dass sie ihr Spiegelbild hätte sehen müssen, aber ihr Tarnzauber hatte nicht an Kraft verloren und so konnte sie nur den Baum und, in weiter Entfernung, die schemenhaften Gestalten zweier Wachen, die weiterhin arglos ihre Runden zogen. Wie schon an der Eingangstür legte sie behutsam eine Hand an das Fenster und wartete. Die Schwingungen ließen nicht lange auf sich warten, waren aber schwächer als an der Eingangstür. Felizias legte ihre andere Hand an die Mauer unter dem Fenster. Auch hier spürte sie schwache Schwingungen. Also würde der Schutzzauber wahrscheinlich nichts bemerken, wenn sie das Fenster zerstörte.

Sie legte beide Hände an die Fensterscheibe und ließ ihre gesamte Körperwärme durch ihre Handflächen fließen. Es dauerte nicht lange bis das Fenster kurz rot aufleuchtete. Jetzt musste sie schnell sein. In einer einzigen Bewegung gab sie ihren Tarnzauber auf und sprang mit einem eleganten Sprung durch das Fenster.

Jetzt musste sie nur etwas Glück haben, denn das Fenster kühlt in dem Moment ab, in dem es nicht mehr durch ihre Handflächen erwärmt wird und die Wassertropfen, die sie für ihren Tarnzauber benutzt hatte und die durch die Wucht ihres Sprunges ein Stück mit ihr flogen, sollten es soweit verunterkühlen, dass es aufhörte zu leuchten.

Felizias landete in der Hocke und formatierte zur Sicherheit wieder einen Tarnzauber um sich, bevor sie sich auf richtete. Vielleicht waren im Gebäude ja zusätzliche Wachen eingeteilt.

Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und warf links und rechts einen Blick in den nächsten Raum. Es war der Hauptsall. Genau dort, wo sie laut ihrer Informationen auch den nächsten Hinweis finden sollte. Als sie jedoch in den Sall trat stockte ihr einen Moment der Atem.

Das Mondlicht, das durch die hohen Fenster fiel, ließ das majestätischen Parkett des Hauptsalls der Bibliothek von Lev aufleuchten und strahlte mit seinem düsterem Licht die nahegelgenen Buchreihen an. Es war so viel schöner als sie es sich ausgemalt hatte.

Ein leises Räuspern in ihrem Ohr erinnerte sie aber wieder an ihren Auftrag und innerlich seufzend wandte sie sich den gigantischen Bücherreihen zu. Während sie durch den wunderbar ausladenen Gang zwischen ihnen hindurch ging, zählte sie die Themen im Kopf auf: Die Geschichte der Elfen, Die Geschichte...., noch zweimal Geschichte, Pfanzenkunde, Sonnenenergie in der Heilung(Eine ganze Reihe voll?)...

Sie unterdrückte ein Gähnen. Das war ja alles nur so ein weichgespülter Elfenblödsinn! Nur Pflanzenpflege und Heilung, aber kein einziges Wort darüber, wie man solche Wunden überhaupt hinbekam! Sie schnaubte durch die Nase. Diese Elfen, nur heile, gute Welt und diese „armen Wesen“, die man doch von ihrem Leid erlösen musste, die dunk-... Ein helles Klirren hallte durch die Bücherreihen.

Felizias erstarrte und ihre Augen glitten schnell über die nächsten Reihen, während sie auf weitere Geräusche wartete. Kam das etwa aus...“Geschichte der dunklen Rassen“? Sie musste sich beherrschen, um nicht wieder laut zu schnauben. Die gesamte Geschichte der „Guten“ gleich am Anfang, aber die „Bösen“ wurden in die dunkelste und abgelegendste Ecke verbannt?

Mit einem leichten Lächeln schlich sie weiter, direkt auf “Geschichte der dunklen Rassen“ zu, während sie ihren Tarnzauber verstärkte. Ob es wohl ein Zufall war, dass sie genau in dieser Abteilung nach dem nächsten Hinweis suchen musste? Sie stand nun genau neben dem Gang durch die beiden Bücherreihen, die zur “Geschichte der dunklen Rassen“ gehörten.

Dort, ganz am Ende des Ganges am Fenster lag ein zerbrochenes Glas auf dem Boden. Das Mondlicht brach sich wunderschön an den vielen Glaskanten und bestrahlte so ein paar der Bücher in den beiden Regalreihen und eine Gestalt, die sich dort ans nächste Regal drückte. Sie sah sich gestresst um und Felizias konnte ihren Angstschweis riechen, während sie versuchte sich die Gedanken der Person vorzustellen. Aber warum eigentlich?

Hallo, Schwesterherz.“

Jeisoa zuckte zusammen. Felizias beobachtete amüsiert, wie ihre Schwester nun panisch den Gang mit ihren Augen absuchte.

Warum hat dein Direktor dir die Erlaubnis erteilt heute nacht hierher zu kommen?“

Jeisoa schien sich in der Dunkelheit nicht wirklich gut orientieren zu können, zumindest richtete sie ihre Augen auf einen Punkt etwa einen halben Meter von Felizias' Magengegend entfernt. Sie schien sich inzwischen aber sicher zu sein, dass sie sich Felizias' Stimme nicht einbildete, denn sie antwortete: „Fe-Felizias?“

Ihre Schwester grinste und gab den Tarnzauber auf. Die Millionen kleiner Wassertropfen glitzerten im Mondlicht, als sie zu Boden sanken.

Du solltest mal was gegen dein Stottern unternehmen.“

Jeisoa starrte sie ungläubig an.

Das warst wirklich du? Du weißt schon, dass hier überall Wachen sind und sie dich gleich festnehmen werden, oder?“

Felizias meinte eine kleine Spur Triumph in ihrer Stimme zu hören. Hielt sie sie wirklich für so dumm?

Wenn hier wirklich überall Wachen wären, wären sie hierhergelaufen. Spätestens als du meinen Namen sagtest.“

 

Selbst in der Dunkelheit der Nacht konnte sie sehen, dass Jeisoa vor Schreck blass geworden war. Sie war wirklich unglaublich naiv.

Und? Was wirst du jetzt tun?“, fragte Jeisoa schlicht, während sie sich darum zu bemühen schien nicht zu stottern. Ihre Schwester lächelte sanft.

Ich gehe jetzt. Lebe wohl, Schwesterherz.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging die Reihe zurück, die Wassertropfen wieder um sich verteilend. Daran dass sie ihr nicht folgte erkannte sie, dass Jeisoa sie verstand.


Der Morgen brach merkwürdig langsam an und selbst die Vögel sangen heute nicht. Aber das war auch kein Wunder, denn es gab keine Sonne, die sie begrüßen konnten. In mitten dieses ungewohnlich stillen Grüns des Waldes in einer kleinen Höhle, wie es viele von ihnen in dieser Gegend gab, hatten Felizias und Myras die restliche Nacht verbracht. Sie waren zu müde zum Reden gewesen, aber Felizias waren noch eine Menge Gedanken durch den Kopf gerauscht, bevor sie eingeschlafen war.
Die erneute Begegnung mit ihrer Schwester hatte sie an „damals“ erinnert.

Es war nicht einmal lange her, aber die Erinnerungen kamen ihr vor als gehörten sie zu einem Anderen. Die Bilder, die Gerüche, die Gefühle...schienen wie durch einen Schleier verdeckt worden zu sein, der bei Jeisoas Anblick einfach vom Wind davon getragen wurde.
Es war so viel passiert seit sie aus dem Dorf geflohen war. Sie hatte zwar die Freiheit gewonnen, musste aber all die jenigen zurücklassen, die sie immer verteidigt und beschützt hatten. Obwohl Felizias froh war endlich selbst etwas tun zu können, nicht nur beschützt zu werden, sondern auch einmal selbst beschützen zu können, erinnerte sie sich immer noch an Momente, in denen sie sich an ihre Gefangenheit zurücksehnte. Nicht, weil es ihr gefallen hatte das Haus nur gelegentlich nachts verlassen zu dürfen, nein, sie hatte sich um nichts Sorgen machen müssen. Solange sie in ihrem Zimmer blieb, waren sie und alle, die ihr wichtig waren sicher.
Aber sie musste fliehen. Irgendwann wäre es ja doch einmal aufgeflogen und selbst wenn nicht: Es war kein richtiges Leben gewesen, in diesem Zimmer zu sitzen und nichts tun zu können außer nachdenken und lernen. Wofür eigentlich lernen, wenn man es nie anwenden wird? Diese vier Wände hatten sie erdrückt und ihr versucht einzureden, dass sie selbst daran schuld war. Dass sie selbst alle in Gefahr gebracht hatte. Es war richtig gewesen einfach zu laufen, wie sie es sich immer erträumt hatte; in den hellen Nächten in ihrer Zelle aus Hoffnungslosigkeit.
Hoffnungslosigkeit... Felizias hatte dieses Wort schon lange nicht mehr gebraucht. Es war halt alles anderes nun. Aber ihre Schwester schien immer noch etwas von der Leere dieser dunklen Zeit zu spüren. Oder warum lernte sie all' diese magischen Tricks, obwohl sie sie ohnehin nie anwenden wird? Felizias seufzte. Es war wirklich kaum zu fassen, dass Jeisoa, ausgerechnet diese schüchterne und unsichere Person, ihre Zwillingsschwester war.
Ein leises Rascheln in einer dunklen Ecke der kleinen Felshöhle verriet ihr, dass Myras aufgewacht war. Sie stieß einen erneuten Seufzer aus und wischte die Äste zur Seite, die den Eingang der kleinen Höhle vor neugierigen Blicken verbarg. Die Sonne hatte sich inzwischen ihren Weg auf den Horizont und durch die Blätter der Bäume gequält und die Luft war wieder von dieser frühen, dämmrigen Stille erfüllt. Es wurde bald Zeit, dass sie weiter reisten. Aber vorher...

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